Zur Einstimmung: Es war einmal

1976, Boleslaw Barlog, der große alte Theatermann inszenierte „Die Hochzeit des Figaro“ in Salzburg . Ich war sein Figaro und nach der Premiere sagte er mir: Sie singen wie ein Sänger aber sie spielen wie ein richtiger Schauspieler! Man vergisst ganz, dass Sie singen! Ich wusste gar nicht , dass das möglich ist.

Dieses „wie ein richtiger Schauspieler“ war für ihn das größte Kompliment, denn es stand für ihn für Wahrhaftigkeit, für Echtheit, es implizierte aber natürlich gleichzeitig, dass Sänger nicht „richtig“ spielen.

Barlog irrte: der Sängerdarsteller ist dann authentisch, wenn es ihm gelingt, seine Befindlichkeit und seine Intentionen singend darzustellen, „sich quasi selbst zu singen“. Diese Dominanz der stimmlichen Manifestation ist dem Sprechtheaterschauspieler völlig unbekannt.
Barlog meinte schließlich: Sie müssen wohl recht haben...

Anfang der 80ger Jahre trafen sich Kollegen, Studenten der Hochschule und des Konservatoriums München, Schüler verschiedener Münchner Schauspielschulen zu einem wöchentlichen Seminar unter meiner Leitung mit dem Thema „singing actor- acting singer“ auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Was ist „Musiktheater-spezifische“ Darstellung, und einer Lösung für ein erstaunliches Phänomen:

Musiktheaterdarsteller werden von Sängern in Gesang ausgebildet, von Sprecherziehern in Sprechen, wobei nicht selten der Gesangslehrer behauptet, Sprechen schade der Stimme, und der Sprecherzieher unumwunden eingesteht, dass er von Gesang nichts versteht. Dann gibt es den Bewegungs- oder sogar Tanzunterricht von einem Spezialisten, der weder singen noch sprechen kann und will, und obendrein gibt es Schauspielunterricht bei einem „richtigen“ Schauspieler, dem diese „Libretti“ und klischeehaften Figuren des Musiktheaters ein Gräuel sind, und der natürlich Sprechtheaterrollen einstudieren möchte... und als Krönung gibt es dann „Opernschule“ bei einem Regisseur, der seinerseits Assistent bei einem Regisseur war, der von all dem gar nichts konnte... Man könnte natürlich einwenden, dass doch in vielen Berufen die Teilbereiche von Spezialisten unterrichtet werden. Das ist richtig, aber am Ende steht der Meister, der den Wert der einzelnen Komponente beurteilt und alles nach dem richtigen Maß zusammenfügt, und da scheint in der Musiktheater-Ausbildung an der Spitze ein Vakuum zu existieren. Ein Rätsel...