„INTEGRAL PERFORMING“
(ganzheitliche Darstellung)

ist ein ARBEITSKONZEPT, das sich inzwischen als tauglich erwiesen hat. Ein vielleicht banales, aber doch erwähnenswertes Resultat des Arbeitsprozesses war, dass die Methode, nach der man einen Beruf lernt nicht identisch sein muss mit der Methode, nach der man ihn ausführt! Und in wieweit man damit dann sogar spielen kann „wie ein richtiger Schauspieler“.


E oppure si muova (Galileo Galilei) (…und sie/er bewegt sich doch!)

Eine der überlieferten Forderungen der alten italienischen Gesangsmeister an den Sänger war, sich „come una statua“ (unbeweglich wie eine Statue) zu halten. Selbst 2006 fordert ein gewisser NN, dass man bei gewissen Übungen unter gar keinen Umständen den Kopf bewegen dürfe. Weniger rigide ist vielleicht die Ansicht, dass „man es erst mal im Stehen können sollte“. Dabei erwerben die „GesangsschülerInnen“ von Lehrer zu Lehrer unterschiedliche Hilfsmuster, die als notwendig oder günstig für die Phonation angesehen werden. Zum Beispiel sehen die Vertreter der „Funktionalen Stimmbilung im „Klimmzug“ ein solches Muster. Sinn und Unsinn solcher Muster soll hier allenfalls am Rande diskutiert werden, allerdings liegt der Vergleich nah, einem Krabbelkind Krücken zu verschreiben, damit es schneller in die Vertikale kommt...

Da meines Wissens an keiner Ausbildungsstätte „integriert“ unterrichtet wir, gehen wir hier davon aus, dass die Ausbildung immer zunächst zum „Stehsänger“ tendiert, und danach der Spagat zwischen „Sängergestik“ und glaubwürdiger (Musiktheater)-Darstellung gemeistert werden muss.
Zwischenbemerkung: tatsächlich wird von den wenigsten Gesangslehrern bewusst „Sängergestik“ eingeübt. Was da an (scheinbaren) Hilflosigkeiten geboten wird, dient entweder der Unterstützung von Vorstellungsbildern oder, was essentiell ist, der Unterstützung der „Einatmungstendenz“, die heute als Grundlage der ökonomischen Phonation gilt.

Hier also die erste Kardinalfrage: Wie kommt Bewegung in den Gesang? Die zweite wird sein: Wie wird Gesang bewegend? Und die dritte: Was bewegt Gesang?.

Der virtuelle Sängerkörper

Was ist „Körpergefühl“? Wie nehmen wir unseren Körper wahr? Es gibt eine sehr spaßige Graphik, die illustriert, mit welcher Intensität wir unsere einzelnen Körperpartien wahrnehmen. Da gibt es riesige Hände, peinlich große Füße, erbärmliche Ärmchen und Beinchen, eine provokativ laszive Zungenspitze, einen riesigen Schmollmund, durchaus beachtenswerte Genitalien, - und einen absolut deplorablen winzigen Torso. Ein Atem- oder Stimmorgan wird ganz offensichtlich fast gar nicht wahrgenommen.
Natürlich nehmen wir einerseits durch den „Tastsinn“ haptisch (oder „taktil“) , das heißt durch Nervenzellen, Berührung, Temperatur oder Spannung wahr, ABER sich „im Körper fühlen“ oder auch die Strasbergsche „All-over-sensation“ ist immer mit kleinsten aktiven Impulsen in der Muskulatur verbunden. Die Gesamtheit dieser Impulse kann als Wahrnehmung des Tonus des Körpers beschrieben werden. Im so oft gepriesenen „entspannten“ Zustand gibt es weder Wahrnehmung noch Leistung. (Stanislawskis und Strasbergs Spekulationen, dass man „entspannt“ sein müsse um eine künstlerische Leistung zu erbringen, sind allenfalls plausibel wenn man „Entspannung“ als Gegensatz von „Verkrampfung“ interpretiert.)
Wir gehen nun davon aus, dass „Singen“ tatsächlich spezifische Haltungs- und Bewegungsmuster erfordert. Was an der „Gesangstechnik“ ist unbedingt nötig und muss zur zweiten Natur werden?

Da ist natürlich die Stütze, Lieblingsspekulationsobjekt seit dreihundert Jahren. Heute lässt sich “Stütze“ denkbar einfach definieren: Grundlage einer Hochleistungsphonation ist laut allgemeinem Konsens die „Einatmungstendenz“. Sie ist auch die Grundlage der „Präsenz“, was zu zeigen sein wird. Und sie entsteht durch eine Erhöhung des muskulären Tonus der gesamten „Stützmuskulatur“ (das ist die Skelettmuskulatur), einer dadurch bewirkten Streckung der Wirbelsäule, und durch Haltearbeit des Zwerchfells gegen die elastischen Rückstellkräfte der Lunge selbst, der Eingeweide, und eventuell auch der Bauchmuskulatur, weiter nichts. Jede weitere Fixierung, zum Beispiel ein „Anstellen“ des Thorax, wie auch Meister Garcia (1805-1906) es noch postulierte, gehört einerseits zu den Fehleinschätzungen der tatsächlichen physiologischen Vorgänge und andererseuts zu den „esoterischen Ritualen“, die beinhalten, dass der richtige Weg mit Hindernissen bestückt sein muss...

ERGO: was von den Medizinern „Stützmuskulatur“ genannt wird, ist auch Arbeitsmuskulatur des Stimmbenutzers: in erster Linie die Streckmuskulatur.

Dagegen soll die Vorderseite des Körpers, besonders Bauchdecke und vordere Halsmuskulatur frei „artikulieren“ können. Weiter nichts.

Wir gehen nun noch des weiteren davon aus, dass sängerische „Kraftakte“ einen guten Stand fordern.

Die Gesamtheit dieser Wahrnehmungs- und Haltungsmuster nennen wir „virtuellen Körper“, soll heißen, „der Körper mit dem gesungen wird“.

Das Ziel der Körperarbeit wird nun zunächst sein, diesen traditionellen, bis auf einige ziemlich unsinnige Armbewegungen, statischen Sänger-Körper in Bewegung zu bringen.

Anmerkung: Für den „fertigen“ Sänger ist IP so eine Art „Reparatur-Set“. Eigentlich ist es ein systematisches Hinführen auf das wirklich Nötige und Erfahrbare, das, einmal verstanden, auch nicht „geübt“ werden muss. Und selbstverständlich sollte in IP eigentlich die Körperarbeit, Sprache und Gesang, und die Darstellung eben NICHT isoliert konsekutiv sondern „integriert“, das heißt hier programmatisch gleichzeitig erlernt werden.