EINFÜHRUNG
Meine
Beschäftigung mit traditionellen und alternativen Ausbildungs-,
Trainings- und Therapiemethoden reicht zurück bis in die
frühen 80ger. In meiner über mehrere Jahre ('81 bis'89)
am Staatstheater am Gärtnerplatz in München durchgeführten
Workshopreihe
"SINGING
ACTOR - ACTING SINGER"
wurde
eine alternative Ausbildungsmethode entwickelt, das „Integral
Performing“ (ganzheitliche Darstellung), die vor allem auf
der minutiös erarbeiteten Überzeugung beruht, dass die
Gleichung „Musiktheater = Schauspiel plus Gesang und Musik“
auf gravierenden Missverständnissen beruht und der Ansatz ,
dass ein „Stehsänger“ durch Schauspielunterricht
zum Musiktheaterdarsteller wird, nicht haltbar ist.
Der essentielle Unterschied zwischen Sprechtheater-Schauspiel und
Musiktheater-Schauspiel, - denn SPEKTAKEL sind ja beide Genres,
beruht nicht darauf, ob, wie und wie viel gesungen wird, - den singenden
Schauspieler gab es immer, - sondern was zur Darstellung der persönlichen
Befindlichkeiten und Intentionen eingesetzt wird: der ACTING SINGER
„singt sich selbst“, der „SINGING ACTOR“
singt „Geliehenes“.
Musiktheaterdarstellung bedeutet, dass die Figur ihre eigenen
Gefühle und Intentionen singend darstellt, und so
gesehen sind fast alle Musicals Musiktheater aber z.B. die so erfolgreiche
Collage „Die Commedian Harmonists“ Sprechtheater, obwohl
überwiegend gesungen wird.
Zu eine
Schlüsselerlebnis wurde ein mit „Schauspielschülern“
verschiedener Münchner Schulen durchgeführtes Experiment
unter dem Arbeitstitel „Der nackte Darsteller“ , das
zu einem Resultat führte, das für das darstellerische
Selbstverständnis und das Selbstwertgefühl der nach den
Strasbergschen Doktrinen geschulten jungen Schauspielern eine radikale
Enttäuschung war, und gleichzeitig eine neue Wertung der verschiedenen
darstellerischen Komponenten brachte.
Das Szenario:
Die völlig leere
Bühne (damals des Staatstheaters am Gärtnerplatz)
Keine Möbel, keine Requisiten, natürlich keine Kostüme
Aber ich ging weiter:
Kein Stück, keine
Handlung, und vor allem kein Text...
Und dann die absurd scheinende
Anweisung : jetzt spielt mal irgendwas!
Es wurde sehr schnell
klar, dass die menschliche Ausdrucksfähigkeit viel geringer
ist, als allgemein angenommen wird. Es gab eigentlich nur
DREI BEFINDLICHKEITEN
die gedeutet werden konnten,
eine positive, die Gestik des Wohlfühlens und der Freude, und
zwei negative: „die Erbleichende“ (z.B. Kummer) und
die „Errötende“ (z.B. Wut).
Jede weiter Differenzierung war unmöglich, und wird also aus
dem (Kon)-text im weitesten Sinne konstruiert, und ist somit Projektion
des Zuschauers.
Außerdem wurde
klar, dass es völlig unmöglich ist, zu unterscheiden ob
der „Anlass“ im Denken oder dem Gefühl , also der
Psyche lag, die körpersprachliche Umsetzung also „psycho-somatisch“
war, oder im sensitiv körperlichen, also somato-psychisch.
(z.B. ist der Ausdruck „geistiger Skepsis“ und der Ausdruck
eines „seltsamen Geschmacks“ nicht zu unterscheiden.)
Natürlich gab es verschiedene „Intensitätsgrade“,
große innere Bewegung schafft große äußere
Bewegung. Der Einwand, dass z.B. Kummer bis zur Lähmung unbeweglich
macht, ist nicht stichhaltig: Stillstand ist (genau wie das „Stehen“
auf einer Bühne) eine sehr anspruchsvolle Variante der Bewegung...
die ohne Kontext überhaupt nicht interpretiert werden
kann.
Und damit war auch einerseits
klar, dass Intensität nicht das Maß für „den
Druck im Ausdruck“ ist, sondern das Maß des „Materialaufwands“.
Und andererseits wurde klar, dass man sich all die Bemühungen,
die man macht um Inhalte und Intentionen zu spielen ersparen kann,
weil man sie nämlich nicht spielen kann. Nur was zur Aktion
wird ( auch Ruhe ist ACTING) ist für den Zuschauer interpretierbar.
Und dieses Arbeitsprinzip,
dass es nämlich genügt, die Befindlichkeit der agierenden
Figur glaubhaft zu suggerieren, schafft den Freiraum, den der Sängerdarsteller
für den Gesang braucht. Denn es steht außer Frage, dass
höchster sängerischer Aufwand kaum Freiraum für Darstellung
lässt. Kalafs „vinceró“ oder Manricos „all’
armi“ genügen sich selbst, aber auch die anspruchvollsten
Partien bestehen nicht nur aus Spitzentönen, und dann kann
ein wenig Darstellung nicht schaden...
Die
beiden größten Theaterlehrer des 20. Jh. Stanislawski
und Strasberg haben selbst ihr „System“ (Stanislawski)
bzw. ihre „Method“ (Strasberg) für Musiktheater-
untauglich erklärt. Aus einem einfachen Grund: Sprechtheaterdarstellung=
„Schauspiel“ fordert weitgehend „Realismus“
(ein Darstellungsprinzip, das allerdings auf ziemlich verschiedene
Arten realisiert werden kann) , die Darstellung vor der Kamera sogar
eine Art „Lebensidentität “, genau das muss Musiktheaterdarstellung
NICHT haben. Darstellung, deren wichtigste Parameter durch die musikalische
Vorlage vorgeschrieben sind (u.a. Phrasierung, Tempo, Dynamik, und
natürlich die Deutung des Textes durch den Komponisten!), kann
und muss nicht realistisch sein.
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