To belt or not to belt

Der Begriff „belting“ hat eine Entwicklung genommen, die der des Begriffs „Belcanto“ genau entgegengesetzt ist. Belcanto war ursprünglich ein nach ästhetischen Idealen definierter Stil, zu dessen Realisation dann verschieden Techniken entwickelt wurden. Belting war ursprünglich eine spezielle Technik, aus deren Anwendung sich ein Stil entwickelt hat. Erweiterungen eines Begriffs sind nicht ungewöhnlich, und es ist müßig, ständig daraus hinzuweisen, dass das mal was anderes war. Belting ausschließlich als „ein typical placement of the voice sound in the mouth“ zu definieren sei, vornehmlich geprägt durch die Verwendung eines A-ähnlichen ( bright vowel) Allgemeinvokals „in a higher range“, zu definieren, mag den Spezialisten vorbehalten bleiben. (Ähnliches gilt für Twang).Der Sprachgebrauch im Musicaltheaterbereich meint etwas anderes und zwar drastisch vereinfacht: alles, bloß nicht klassisch.

Was ist denn nun typisch für Belt als Bezeichnung eines (deutschsprachigen) Musical-Gesangsstils?

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Belt benutzt die Vokalphoneme der Umgangssprache oder sogar des Jargons. Bei der Nachahmung des anglo-amerikanischen Klangideals kommt es in deutsch zu einer hellen und flachen Tongebung. (Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen die "rhotisierten" amerikanischen A-Laute imitiert weren sollen). Die Laute sind also nicht „alle weiter vorn“, sondern da wo sie hingehören: ein U ist immer ein „hinterer“ Vokal, und dadurch tatsächlich oft ein (vermeintliches) Sängerproblem, auch im klassischen Gesang. Im Englischen hat U völlig andere Formantenwerte als in deutsch, es liegt deutlich höher, und kommt damit allerdings der typischen "flacheren" Tongebung entgegen.

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es wird ohne natürliches* Vibrato gesungen, das sogar verpönt ist. Jazzvibrato oder sogar growl ist erlaubt
(es ist eine andere Frage, ob denn das Vibrato des klassischen Gesangs „natürlich“ ist)

3
es wird ohne „kopfigen“ Oberklang gesungen. (Achtung: das hat nichts mit den Obertönen zu tun. Der „kopfigste“ Vokal für den klassischen Sänger ist U, und der hat die wenigsten Obertöne)

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es wurde ursprünglich vornehmlich mit „voller“ Stimmfunktion „brustig“ gesungen, inzwischen gehören alle Varianten der "belted mixed voice" zum Standart, darunter "Soft"- und "Pop"belt, der durchaus mit Randschwingung gesungen werden kann. Außerdem wird forciertes Falsett eingesetzt, oft im Ansatz mit einem „Kippen“ aus der Bruststimme, was nichts anderes ist als ein „Jodler“; der klassische „Schluchzer“ geht genau umgekehrt, also ein Ansetzen in der Randfunktion und ein Kippen in die volle Funktion, auch diese Technik wird häufig angewendet. In der extremen Höhe, in „Gaudì“ hat Isabella „ on the inside“ mit einer Fermate auf dem „the“ (in diesem Fall als geschlossenes I zu sprechen) auf einem as2 (int. Ab5) zu singen. Sie behilft sich da mit einer „Squeeze“-Technik, die erstaunlicherweise der „voce di strega“-Übung des Belcanto entspricht: einer „spinto“ und sogar „strozzata“-Technik auf dem Vokal I, und spingere heißt nichts anderes als „drücken“ und strozzata „mit zugeschnürter Kehle“ (bei Puccini gibt es diese Anweisung: con voce strozzata!)
Ob für Belt das Dogma des „tiefgestelten Kehlkopf“ gilt, oder ob mit „freier“ Kehlkopfstellung gesungen werden kann, ist eine Frage, dass es unmöglich sei, mit nicht tiefgestellten Kehlkopf Randschwingung zu singen, schlichtweg falsch.

Und damit sind wir natürlich bei den „Gefahren“ des Beltings.
In der Diskussion um die Gefahren des Belting versus klassischer Gesang warnen vor allem amerikanische Autoren vor der „glottal attack“ ( „Ansatz auf dem Stimmband“ oder „harter Stimmansatz“) und bezeichnen sie als stimmschädigend und Ursache gravierender Stimmbandschäden wie Stimmbandknoten und Blutergüsse. Das kann man so nicht behaupten, denn in deutsch wird, wie oben beschrieben umgangssprachlich der Vokal im Anlaut grundsätzlich mit glottalem Ansatz gesprochen und ein ökonomischer Glottel schadet niemand. Stimmschäden können viele Ursachen haben, und sie entstehen in erster Linie durch unangemessenen Gebrauch, wozu gelegentlich sogar der "Gesangsunterricht" beiträgt...der Glottel gehört nicht dazu. (Auch dass sogar Husten, bei dem der Stimmbandschluss mit Luftgeschwindigkeiten bis zu 480 km/h gesprengt wird, nicht grundsätzlich zu bleibenden Stimmbandschäden führt, ist ein beeindruckendes Indiz dafür.)

Wenn man das englische „to belt out a song“ mit dem deutschen „(s)ein Lied schmettern“ übersetzt, zeugt das von einer korrekten lexikalischen Suche. Daraus zu folgern, dass Belt eine „schmetternde“ Klangcharakteristik habe, zeugt von wenig Fachkenntnis. „Schmetternde“ Klänge werden vor allem von Blechblasinstrumenten und wohl auch Tenören erzeugt, und haben dann den „squillo“, das ist in italienisch das charakteristische „Peng“ mit dem eine Glocke angeschlagen wird, und so hieß es auch mal nonchalant in Deutsch. In englisch wird es mit „ring“ wiedergegeben, was dann neuerdings etwas hilflos mit „klingeln“ ins Deutsche rückübersetzt wird.

Es fällt etwas schwer, diese ganze Diskussion Klassik versus Belting ernst zu nehmen. So wie der Begriff Belting jetzt definiert wird , entspricht er ganz einfach der Stimmgebung, die da in der Folklore eingesetzt wird, wo die Frauenstimme mit der vollen Funktion eingesetzt wird. Flamenco wird so gesungen, Fado, das sämische Jolken ist Beltgesang und auch Edith Piaf sang so eine Art „Francobelt“. Belt ist die ursprünglichere Art zu singen. Es ist ziemlich unsinnig seine Ästhetik und Technik aus der Sicht des klassischen Kunstgesangs beurteilen zu wollen.

Parallel zum Belting der Frauen hat sich im Musical fast unbemerkt eine andere Tendenz gezeigt: der Verlust der tiefen „Männerstimme“. Es gibt noch einige „archaische“ Rollenbeispiele: Kaiphas in "Jesus Christ Superstar", Frollo im „Glöckner“, Max in „Sunset Boulevard“, und natürlich die Pflanze im "Little shop of horrors" aber selbst bei Javert (Les Miz), Jekyll (& Hyde), und vor allem beim „Phantom“ hört man inzwischen eine Art „Teenage-Boy“-Stimme". (zur Erinnerung: teen ist man von 13 bis 19)

Ich bin Musicalsänger der dritten Generation, ich will damit sagen, dass meine Bühnentöchter von heute eigentlich meine Enkelinnen sein könnten... mit einigen Konsequenzen.
Die „Aldonzas“ (The man of La Mancha) der siebziger Jahre, die „Sallys“( in Cabaret) kamen aus den verschiedensten Stimmfächern, jede brachte Qualitäten ein und kämpfte zum Teil mit erhebliche Schwierigkeiten, denn es wurde an kleinen Häusern erwartet, dass man ohne Micro so singen konnte, wie es auf den Schallplatteneinspielungen zu hören war. Das ist nun wahrhaftig kein nostalgisches Tränchen wert, ABER genau wie die Operdiven der damaligen Zeit waren diese Sängerinnen nach wenigen Takten zu identifizieren.
Heute verfügen die Stars der Musicalszene über eine ausgefeilte Technik mit allen Variablen der Belt- und der belted mixed voice, aber man hat den fatalen Eindruck, dass sie durch diese Technik ihre stimmliche Identität einbüßen. (Physikalisch müsste man da wohl eine Dämpfung der höherfrequenten Formanten (ab dem dritten) vermuten, die für die Ausprägung des persönlichen Timbres ausschlaggebend sind.)
In der CD-Einspielung von „WICKED“ hat man allergrößte Mühe Kristin Chenowith und Idina Menzel auseinanderzudividieren, weil offenbar neuerdings eine bedauerliche „wenn Du brüllst, brüll ich auch“-Mentalität fröhliche Urständ feiert. Diese Art von „Schreiduellen“ glaubte man eigentlich selbst in der Oper ausgestorben...Aber Spaß machts natürlich schon...

Was da als „laut“ oder „potent“ interpretiert wird ist ja keineswegs die absolute Lautstärke, -für die ist der Tonmeister zuständig,- sondern Klangfarben, die der Zuhörer mit gewissen akustischen Mustern und Hörgewohnheiten verbindet.. Z.B. kann man den charakteristischen Klang eines „Rufens“ pianissimo herstellen, selbst markerschütternde Schreie, wenn der Tonmeister das aufzieht und ein wenig Hall darüber streut, kann man es von "originalen" Klängen nicht unterscheiden. Und das gilt eigentlich für jede gekonnte Mikrophontechnik!