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Der
Gesangsbonus
oder: „warum Singen leichter ist“
Die dominierenden europäischen
„Gesangs-hoch-sprachen“ benutzen in Opern- und Konzertdiktion überwiegend
ähnliche Vokale. Klangideal sind dabei zunächst grob gesprochen die
„reinen“ italienischen Vokale des Belcanto. Vokale, dazu gehören auch
alle Umlaute(!) und Doppelvokale oder Diphtonge, werden als „reiner“
Klang =Stimmgebung empfunden, wenn sie der als „Hochsprache“ festgelegten
Klangvariante entsprechen. Auch ein bayerisches oder ein sächsisches
A- und die zahlreichen Vokalvarianten, die es in Dialekten, anderen
europäischen und außereuropäischen Sprachen gibt- sind „reine Vokale“,-
werden aber als „verfärbt“ wahrgenommen. (Dass ein Sänger u.U. einen
Vokal sogar subjektiv verfärben muss, damit er korrekt und unverfärbt
klingt, ist ein spannendes Paradoxon)
Am Deutlichsten wird diese Erscheinung im Englischen, das in der gesprochenen
Sprache kaum über nicht gemischte Vokale verfügt. Selbstverständlich
wurde nach Shakespeare am Sprechtheater „elisabethanisches“ Englisch
gesprochen, aber die Werke des ab 1712 in England wirkenden „George
Frederic Haendel“ wurden von italienischen Truppen in „Italo-Englisch“
gesungen. Das bedeutet: mit der Beschränkung auf die sieben italienischen
Vokale plus einem Ö-Laut, der nun wieder den Italienern Probleme macht.
Und daran hat sich nichts geändert.
Heute nimmt Englisch als „Welt-gesangs-sprache“ aus einem anderen Grund
eine Sonderstellung ein. Es wird in so vielen gültigen Varianten gesprochen,
(Briten sehen das natürlich anders) dass vom „Queens-English“ das allerdings
allenfalls noch vom Hauspersonal der Queen Mum gesprochen wurde, den
irischen, schottischen, amerikanischen, australischen, neusee-ländischen
usw. Idiomen und dem Denglish der deutschen Popszene fast alles möglich
ist.
Grundsätzlich ist Singen aus zwei Gründen leichter als Sprechen: die
„Sprachmelodie“ ist eines der variabelsten und subtilsten Elemente der
gesprochenen Kommunikation. Gerade in Deutsch sind Tonpegelunterschiede,
Intonationhöhen, Phrasierungen, Tempovariationen subtilste qualitative
Indikatoren für die sprachliche Aussage und die Befindlichkeit des Sprechenden.
Alle diese Parameter sind beim Singen durch die Gesangslinie vorgeschrieben,
sozusagen vergrößert und vergröbert. Deshalb ist deutscher Dialog so
schwierig und gesungenes Deutsch, wenn es zu quantitativ ver-komponiert
ist, so schlecht zu verstehen.
Der zweite Grund: Deutsch kennt zwar keine „Vokalharmonie“*) oder Abwandlung
von Konsonanten je nach Umfeld (wie z.B. im Polnischen), aber doch Angleichungsphänomene,
die nicht bewußt wahrgenommen werden, und doch eine äußerst wichtige
Komponente des „typischen“ sprachlichen Ausdrucks sind. Diese Einstellungen
werden vom Sprechapparat unbewußt vorgenommen. (Dazu gehört auch das
unbewußte „Mitartikulieren“ beim Zuhören!) Beim Singen herrschen sozusagen
„geordnetere Verhältnisse“, die Voreinstellung unterbleibt. Aber letztlich:
Wenn der „Belcantist“ (hoch)-italienischen Laute als besonders sanglich
empfindet, liegt das ausschließlich daran, dass „Belcanto“ ursprünglich
ein italienisches Phänomen ist. Musical-Gesang ist ursprünglich ein
anglo-amerikanisches Phänomen und singt sich deshalb mit anglo-amerikanischen
Lauten am besten. Doch eigentlich evident, oder?
Bei beiden Genres muss man im Deutschen sowohl bei der Klangqualität
als auch bei der Verständlichkeit eben Abstriche machen, denn der bühnendeutsche
„Lautstand“*)siehe „Die Deutschen Sprechsprachen“ – das sind jeweils
alle Laute, die für eine bestimmte Sprechweise typisch sind- und vor
allem auch die deutsche Sprachmelodie (wienerisch wäre viel besser)
sind nun mal anders. Die „Italianità“ läßt sich in Deutsch sowohl in
den Tempi als auch im Intonationsideal nicht erreichen. Was das anglo-amerikanische
Klangideal im Musical angeht (und die von den englischen und amerikanischen
„Supervisors“ der ersten Stunde angestrebten Authentizität in den deutschsprachigen
Produktionen), stehen wir vor einem amüsanten Phänomen: die extrem weiche
Tongebung in den Explosiva und große Intervalle in mehrsilbigen Wörtern
bis hin zum Einbeziehen der Kopfstimme in die Sprechlage führen zu einer
„tuntigen“ Artikulation, selbst bei den Frauenstimmen...und das Klangideal
der (männlichen) Popszene inzwischen zu einer extrem flachen Tongebung
in hoher Lage.
Immerhin wird im Musiktheater im Regelfall bedeutend besser gesungen
als gesprochen, inwiefern man überhaupt "besser sprechen"
kann, ist eine andere Sache...
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